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Transporttechnische Angelegenheiten by Monika Borgmann (Die Zeit)

11.02.1999

Am 12. Februar wird Eyal Sivans Eichmann-Film "Ein Spezialist" auf der Berlinale gezeigt. Der Regisseur kritisiert die Instrumentalisierung des Holocausts in Israel

Das waren meine inzwischen mir angelernten Fähigkeiten auf dem Gebiet des Auswanderungswesens, des an sich sehr komplizierten Gebietes. Ich hatte damals sämtliche Bestimmungen der Einwanderungsländer, sämtliche Höhen der Vorzeigegelder, sämtliche paßtechnischen und sonstigen Schwierigkeiten im Kopf, und so konnte ich sehr wohl um jene Zeit auf diesem Gebiet als Spezialist gelten.

Der Mann ist 55 Jahre alt, eher unscheinbar, mittelgroß, sehr schlank, mit dunklem, schütterem Haar. Er trägt einen Anzug mit Krawatte. Er hat ein nervöses Zucken um den Mund, gestikuliert ab und zu, um seine Aussagen zu unterstreichen, und verharrt regungslos, wenn er zuhört. Er sitzt auf einer Bühne, in einem Glaskasten, den er allmählich in ein Büro verwandelt: mit Dokumenten, die er ordentlich aufeinanderstapelt, und Stiften, die er akkurat neben die Aktentürme legt, um sich später Notizen machen zu können. Er ist Spezialist für bürokratische Verwaltungsarbeit: SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, ehemaliger Leiter des Referats IV-B-4 im Reichssicherheitshauptamt, verantwortlich für die Deportationen der Juden und Zigeuner Europas in die Konzentrationslager der Nazis.

"Manchmal lache ich, wenn ich ihm zuhöre. Ich lache, um nicht zu weinen. Eine Mischung aus Schmerz und Angst, aber auch Schutz" - das sagt der israelische Regisseur Eyal Sivan über den Protagonisten seines Films Ein Spezialist, für den er ausschließlich Videomaterial des Eichmann-Prozesses verwendete. "Die Archivbilder sollen den Eindruck vermitteln, daß da eine Persönlichkeit spricht, die zwar der Vergangenheit angehört, aber gleichzeitig schrecklich lebendig ist. Man hat noch nie jemandem zugehört, der im Inneren des Systems gearbeitet hat, in einem Büro saß und nicht den Einsatztruppen oder der Wehrmacht angehörte. Eichmann fasziniert, denn er wäre perfekt gewesen, hätte er den Bau von Autobahnen organisiert."

Wenn es sich um die Deportierungsanordnung handelte und die Zielstationen festgestellt wurden, dann mußte ein Fernschreiben losgelassen werden, damit die Zahl festgestellt wird der Aufnahmemöglichen, dann wurde ja festgestellt, wieviel zu deportieren sind, und die Zeit wurde festgestellt, und danach wurde der Fahrplan dann in die Wege geleitet.

Eichmann beschreibt seine Welt, eine Welt der Statistiken, Pläne, Dienstwege und "transporttechnischen Angelegenheiten", eine Welt, in der Tod, Massenmord und Vernichtung nicht existieren.

"Ich will zeigen, wie Eichmann Klischees und allgemeine Formulierungen benutzt, um der Frage nach der konkreten Verantwortung auszuweichen", sagt Rony Brauman, Mitautor des Films. "Ich will zeigen, wie er daran beteiligt war, einen Prozeß des Terrors in Gang zu setzen, ohne über den Terror zu reden und ohne direkte Gewalt anzuwenden, sondern mit Hilfe einer administrativen und logistischen Kette, die er in einer Alltagssprache erklären kann."

Anstoß für den Film gab das Buch Eichmann in Jerusalem - Ein Bericht über die Banalität des Bösen von Hannah Arendt, die 1961 nach Jerusalem gereist war, um für den New Yorker über den Prozeß zu schreiben. Eichmann entpuppte sich für Hannah Arendt als eine begrenzte, unbedeutende Kreatur, die sich nur in Klischees ausdrücken konnte und gerne im Rampenlicht stand.

Arendts Prozeßbericht - bis heute nicht ins Hebräische übersetzt - rührte vor allem in den USA und in Israel an Tabus. Anstatt nur für das Leiden der Opfer hatte sie sich genauso für die Motive des Täters interessiert. Und sie hatte Ben Gurion, den damaligen Ministerpräsidenten, beschuldigt, den Prozeß zu instrumentalisieren. Der Schauplatz war auch kein Gerichtssaal, sondern ein Theater, das "Haus des Volkes" in Jerusalem.

"Der Eichmann-Prozeß war ein Spektakel, es war wie im Kino, alles war konstruiert", sagt Eyal Sivan. "Ein paar Tage vor dem offiziellen Prozeßbeginn entschied das Gericht, den Prozeß zu filmen. Das Videomaterial sei wie das Protokoll zu betrachten und solle dazu dienen, die Geschichte zu bewahren."

Weil Israel damals über keine eigene Fernsehgesellschaft verfügte, wurde die amerikanische Capital City Broadcasting Corporation beauftragt. Im Jahre 1993 stieß Eyal Sivan auf Kopien dieser Bänder im Filmarchiv der Hebräischen Universität Jerusalem, heute das Steven Spielberg Archive .

"Wenn ich hier vor Ihnen stehe, stehen mit mir sechs Millionen Juden", rief der Oberstaatsanwalt Gideon Hausner während des Prozesses mit shakespeareschem Pathos, stellvertretend für die israelische Regierung. Das Ziel war es, Eichmann aller Verbrechen Hitlers anzuklagen und dem Nazismus und Antisemitismus überhaupt den Prozeß zu machen.

Und so sah es Hannah Arendt: Die Juden außerhalb Israels sollten sich daran erinnern, daß der Verfall des jüdischen Volkes in der Diaspora damit geendet habe, daß sie wie Schafe in den Tod gingen und daß erst die Errichtung eines jüdischen Staates es Juden ermöglicht habe, sich zur Wehr zu setzen und zu kämpfen.

Für Eyal Sivan wurde die Arbeit an Ein Spezialist zur Auseinandersetzung mit der Instrumentalisierung des Holocausts. Seit zehn Jahren lebt er in Paris, auf Distanz zum Staat Israel; er ist ein Kritiker einer Gesellschaft, die sich als Antwort auf Antisemitismus und Holocaust versteht und auch als das Gegenbild zu denen, die sich ins Schlachthaus führen ließen.

"Ich wuchs auf im Gedenken an die Schoah, im Rhythmus der Analysen, Zeugen, Studien, Konferenzen und Zeremonien. Der Genozid an den Juden - und nur an den Juden - hat ausschließlich einen Aspekt, eine Bedeutung, eine Antwort: Aufgewachsen mit der Pflicht, eine Wiederkehr von antisemitischer Unterdrückung zu vermeiden, war es klar, daß wir in der israelischen Armee dienen müssen, dem Garanten des ,Niemals wieder'." Eyal Sivan verließ Israel nach Ausbruch der Intifada, des Aufstands der Palästinenser in den besetzten Gebieten, als er nicht mehr zu einem Staat gehören wollte, "der die Erinnerung an die Schoah benutzt, um alles zu rechtfertigen; der der Repräsentant der Opfer ist und, da er Opfer ist, mehr Rechte als die anderen hat."

Der Name Eichmann, der in der israelischen Gesellschaft jahrelang für das Böse stand und als Schimpfwort diente, erhielt in den achtziger Jahren eine weitere Bedeutung: Während der israelischen Invasion des Libanon im Jahre 1982 forderte der Philosoph Jeshayahu Leibowitz die Soldaten auf, ihren Dienst zu verweigern. "Wenn ihr bejaht, daß wir das Recht hatten, Eichmann zu verurteilen und hinzurichten, obwohl er legalen Befehlen gehorchte, dann müßt ihr auch einräumen, daß es Situationen geben kann, in denen man ein Verbrechen begeht, wenn man dem Gesetz gehorcht." Und während der Intifada schockierte der Dichter Dan Almagor die israelische Öffentlichkeit mit den Worten: "Hört auf, die Kinder zu schlagen! Generäle, bereitet euch vor! Der Tag wird kommen, an dem wir alle im Glaskasten sitzen."

Die Frage nach dem absoluten Gehorsam ist auch ein zentrales Thema in Eyal Sivans Film.

Bereits die Suche nach den Originalen des Videomaterials wurde für Eyal Sivan zur Auseinandersetzung damit, wie in Israel mit der Geschichte umgegangen wird. Die Stationen der Suche waren das Steven-Spielberg-Archiv, der Norddeutsche Rundfunk, die National Archives und die Archive von Jad Vaschem. Am Ende standen Eyal Sivan 250 der insgesamt 600 Stunden Originalmaterial der Hauptverhandlung, etliche Stunden der Revision und der Urteilsverkündung, und das gesamte Tonmaterial zur Verfügung.

Es fehlten große Teile der Zeugenaussagen, dagegen nur wenige der Aussagen Eichmanns. "Niemand", sagt Sivan, "hat die Bänder wirklich gesucht. Niemand interessierte sich dafür. Da man die Erinnerungen hat, braucht man keine Tatsachen mehr, braucht man nicht die Geschichte. Die Erinnerung, die man an den Prozeß behalten wollte, war die Erinnerung an ein Monster, an den Teufel, und nicht an jenen banalen Menschen, den Hannah Ahrendt beschrieben hat."

Der Film konzentriert sich auf den Täter und nicht auf die Opfer. Nur wenige der über hundert Zeugen, die im Prozeß aufgerufen wurden und ihre Erlebnisse in allen entsetzlichen Details wieder aufleben ließen, kommen zu Wort. Denn kaum jemand war dem Angeklagten je begegnet. "Das Zeugnis der Opfer ist wichtig, um die Folgen des Verbrechens zu zeigen", sagt Rony Brauman. "Aber um das Verbrechen zu begreifen, braucht man das Zeugnis des Täters."

Was der Schreibtischtäter im Lager sah, gefiel ihm weniger

Der Film konfrontiert Eichmanns Einlassungen mit der Wirklichkeit - einer Wirklichkeit, die auch Eichmann bei seinen Besuchen in Lagern gesehen hat und die er selbst unerträglich fand: Für so etwas war er nicht der richtige Mann. Hatte Eichmann etwa ein Gewissen?

In dem Augenblick hatte ich eine Art Pilatussche Zufriedenheit in mir verspürt, denn ich fühlte mich bar jeder Schuld. Hier auf der Wannseekonferenz waren nun die Prominenz des damaligen Reiches, die Päpste. Ich hatte zu gehorchen. Und daran dachte ich in allen folgenden Jahren. Ich sagte mir, ich habe alles getan, was ich konnte. Ich bin ein Werkzeug stärkerer Kräfte gewesen... ich muß meine Hände für mich in Unschuld waschen... Das dreht sich bei mir nicht so sehr um den äußeren Paragraphen, sondern um meine Selbstbetrachtungen.

Ein Spezialist folgt der Chronologie des Geschehens: Eichmanns glückliche Wiener Jahre, jene Zeit der wachsenden Auswanderung, als er Theodor Herzl las; der Beginn des Krieges, sein Treffen mit Heydrich, der ihm erklärt, "der Führer hat die Vernichtung des Judentums befohlen", der Moment, wo ihn "alle Freude an der Arbeit verließ"; das Referat IV-B-4 in Berlin; die Wannseekonferenz.

Und dann: seine Tätigkeit als Organisator der Deportation.

Richter Halevi: Diese Judenräte als Instrumente der deutschen Judenpolitik... erleichterten doch sehr die Ausführung der Maßnahmen gegen die Juden... Und sparten viel Arbeitskräfte und Personal, sowohl Polizei als auch Beamte.

Eichmann: Jawohl.

Halevi: Diese ermöglichten durch Irreführung der Opfer, die Arbeit zu erleichtern und auch die Juden einzuspannen in den Dienst ihrer eigenen Vernichtung.

Eichmann: Jawohl.

Ein Ausschnitt aus dem Kreuzverhör. In ungeschönten Worten beschreibt Richter Halevi die Zusammenarbeit der Judenräte mit den Nazis. Ein Kapitel, das in Israel bis heute tabu ist.

Hannah Arendts Analyse der fatalen Folgen dieser Zusammenarbeit stellte Rony Brauman, ehemaliger Vorsitzender von Ärzte ohne Grenzen, vor die Frage, was eine Politik des kleineren Übels bedeuten kann: "1985 begriff ich, daß humanitäre Aktionen von einem totalitären Regime völlig vereinnahmt werden und sich ins Gegenteil verkehren können. Ich verstand, wie die Hilfsorganisationen zur Vergewaltigung der Menschenrechte beitrugen. Denn unsere Arbeit in Äthiopien, die anfangs half, Menschenleben zu retten, wurde schließlich zum Instrument einer kriminellen Politik. Hannah Arendts Buch hat mir geholfen, unsere Rolle zu begreifen. Ich begann, Parallelen zwischen ihrer Analyse der Judenräte und unserer Funktion zu ziehen."

Seine Erfahrungen in Äthiopien, Bosnien und zuletzt Ruanda ließen Rony Brauman schließlich daran zweifeln, daß humanitäre Hilfe von sich aus gut sei: "Ich konnte sehen, wie leicht man das Schlimmste akzeptiert, wenn es die Maske des Mitleids trägt und ein Genozid wie in Ruanda ,humanitäre Krise' heißt."

Mir ist bekannt, daß bis zur Übernahme des Referates durch mich hier das Durcheinander gewaltig und groß gewesen ist, die Leute blieben oft acht Tage in den Waggons... Soviel ich weiß, ist es dann nicht mehr dazu gekommen. Es mag sein, daß durch örtliche Unzulänglichkeit sicherlich in dem einen oder anderen Fall es auch zu Unzukömmlichkeiten gekommen ist, aber man war nach Tunlichkeit bestrebt, diese Sachen abzustellen und fernzuhalten...

Anders gesagt: Der Reisende litt. - Nur: Wo endete die Reise?

Wieder und wieder betont Eichmann, er sei nur für den Transport verantwortlich gewesen, er habe nicht den Zielbahnhof bestimmt, er habe die Leute nur zu einem bestimmten Ort gebracht, er habe nie jemanden getötet, getötet hätten nur die anderen, er sei für die Toten nicht verantwortlich.

Richter Halevi: Haben Sie nie einen - was man einen Gewissenskonflikt nennt zwischen Ihrer Pflicht und zwischen Ihrem Gewissen?

Eichmann: Man könnte es eher Gespaltenheit nennen, und zwar eine, eine bewußte Gespaltenheit, wo man sich von der einen Seite in die andere flüchtete und umgekehrt.

Halevi: Man hatte auf sein persönliches Gewissen zu verzichten?

Eichmann: Man kann es so ausdrücken, jawohl, und zwar, weil man es selber nicht regulieren konnte, einrichten konnte.