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Aus Liebe zum Volk by José Garcia (Texte Zum Film)

01.04.2004

Zu den grundlegenden Veränderungen, die Deutschland in dem knappen Jahr zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung erlebte, gehört die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR im Februar 1990. Unter den durch die Abschaffung der „Stasi“ arbeitslos gewordenen Beamten befand sich der Major S., der 20 Jahre lang „aus Liebe zum Volk“ den Überwachungsstaat mit aufgebaut hatte.
„Aus Liebe zum Volk“ haben die Regisseure Eyal Sivan und Audrey Maurion denn auch ihren Film genannt, der auf Tagebuchaufzeichnungen eben dieses Ex-Stasi-Majors beruht. An seinem letzten Tag im Büro berichtet er über sein Leben und die zwanzig Jahre, die er in dieser Institution gearbeitet hat. Der vom Schauspieler Axel Prahl aus dem Off gesprochene Monolog des Ex-Stasi-Offiziers wird mit einer Fülle dokumentarischen Materials zusammenmontiert.
Das filmische Material setzt sich aus den Beständen des erstmals erschlossenen Filmarchivs der Gauck-Behörde sowie aus privaten und öffentlichen Archiven zusammen: Stasi-Schulungsfilme, Mitschnitte von Verhören, Alltagsaufnahmen. Die eigentliche Schwierigkeit, dieses immense Material zu einem neunzig-Minuten-Film umzuformen, bestand in der Frage nach deren Authentizität, die Co-Autorin Cornelia Klauss folgendermaßen ausdrückt: „Welche Bilder sind ‘authentisch’? Was kann man ihnen glauben? Wie geht man mit dem Pathos der Propagandafilme um?“ Die Autoren eigneten sich nicht nur dieses Filmmaterial an, sondern verfremdeten es darüber hinaus teilweise: nicht nur, weil Manches offensichtlich nachbearbeitet und einige Szenen – nach Sivan „etwa zehn Prozent“, darunter die Sequenzen, die das Büro des Ex-Stasi-Majors zeigen – eigens für den Film gedreht wurden, sondern auch, weil das aus verschiedenen Kontexten stammende Dokumentarmaterial ausgewählt wurde, damit es den als Erzählfaden dienenden Bericht des Ex-Stasi-Offiziers illustriert.
Obwohl sich deshalb bei „Aus Liebe zum Volk“ immer wieder die Frage stellt, wo die Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion zu ziehen ist, bietet die deutsch-französische Koproduktion in der Tragödie eines ehemaligen Staatssicherheitsbeamten eine nie zuvor gesehene Inneneinsicht der Stasi-Behörde. Der Text verdeutlicht ein ums andere Mal die Naivität des Stasi-Offiziers: „Heute geht jeder, der gehen will. Die Bürger sind eine mobile Gesellschaft geworden. Es ist unvorstellbar, nichts wird mehr kontrolliert. Der Gedanke, dass alles umsonst gewesen sein soll, ist kaum zu ertragen. Es ist unvorstellbar, dass es keine Sicherheit mehr geben soll. Auch im Moment des Abschiedes von meinem Büro kann ich mir so eine Zukunft nicht vorstellen. Jeder Staat hat seine Sicherheitsorgane und Geheimdienste. Das muss doch jeder Bürger begreifen.“
Doch diese offensichtliche Einfalt des Stasi-Offiziers, der an seinen Beruf, an seinen „Dienst der Gesellschaft“ aufrichtig glaubte, täuscht nicht über die Brutalität hinweg, mit der die Opfer behandelt wurden. So zeigt „Aus Liebe zum Volk“ etwa menschenverachtende Verhöre oder die Verhaftung einer Mutter mit drei Kindern auf offener Straße.
„Aus Liebe zum Volk“ ist ein deprimierender Film. Nicht nur, weil er den Zuschauer mit der Denkweise eines von Misstrauen gekennzeichneten Überwachungssystems konfrontiert, das alles kontrollieren, alles sehen wollte: „Überall war das MfS dabei, denn die Möglichkeit einer feindlichen Handlung gegen Partei und Staat konnte hinter allem stecken. Wie wollten alles wissen, also mussten wie überall dabei sein“, resümiert der Stasi-Major seine Lehrjahre. Was den Film darüber hinaus besonders bedrückend macht, ist eine Desillusionierung ohne jedes Unrechtsbewusstsein derjenigen, die alles zu sehen glaubten und doch blind waren.