"Warum haben Sie sich nicht gewehrt ? Warum sind Sie in den Zug gestiegen ?" fragte Chefankläger Gideon Hausner im Eichmann-Prozeß von 1961 den Zeugen und Holocaust-Überlebenden Avraham Lindwasser. Der wußte keine Antwort, er schwieg - aus Scham vermutlich. So ist es in der Dokumentation "The Specialist" des israelischen Filmemachers Eyal Sivan zu sehen, der 1999 auf der Berlinale zum ersten Mal gezeigt wurde. Seither hatte er auf der ganzen Welt Erfolg, in Israel lief er zum Holocaust-Gedenktag im Fernsehen. Hausner fragt, Lindwasser schweigt. Das Problem ist nur, daß es ganz anders war. In Wirklichkeit stellte Gideon Hausner seine Frage dem Zeugen und Holocaust-Überlebenden Yakov Gurfein, und der schwieg gar nicht. Er sagte aus, er und die anderen Juden hätten 1943 keine Kraft mehr gehabt, sondern nur noch gewollt, daß alles aufhört. Deswegen hätten sie sich nicht gewehrt. Das Schweigen von Avraham Lindwasser ereignete sich zu einem anderen Zeitpunkt im Prozeß. Da erinnerte er sich daran, wie er in Treblinka unter den Leichen, denen er die Goldzähne aus dem Mund brechen mußte, plötzlich seine Schwester fand.
Dies war nicht die einzige Diskrepanz zwischen Film und Wirklichkeit, die Hillel Tryster ins Auge stach, als er Eyal Sivans berühmte Dokumentation mit dem Archivmaterial verglich. Tryster - der damals noch Direktor des "Steven Spielberg Jewish Film Archive" an der Hebräischen Universität in Jerusalem war - kam aus dem Staunen nicht heraus. So gibt es in "The Specialist" eine Szene, in der ein Zeuge namens Franz Meyer Eichmann als netten, umgänglichen Herrn beschreibt. In Wahrheit sprach Meyer von einem Treffen, das 1937 stattfand - also bevor Adolf Eichmann zum Koordinator der "Endlösung der Judenfrage" ernannt wurde. Danach erwies er sich als weit weniger nett. Das sagt Meyer auch, nur hat Regisseur Sivan es ihm weggeschnitten. Später soll durch einen Filmtrick künstlich der Eindruck erweckt werden, Eichmann und Chefankläger Hausner seien einander irgendwie ähnlich. In einer Einstellung, so Tryster, habe Eyal Sivan sogar die Tonspur gefälscht. Die Zeugin Leslie Gordon wird gefragt, ob Eichmann noch so aussehe wie damals - sie antwortet : "Nein. Er sieht viel besser aus. Besser als er aussehen sollte." Daraufhin ist, offenbar direkt neben dem Mikrophon, das Lachen einer Frau zu hören. Bei Sivan. Nicht im Archivmaterial.
All diese kleinen Verdrehungen und groben Zusammenschnitte sollen im Ensemble den Gesamteindruck erzeugen, Eichmann sei das (im Grunde eher harmlose, siehe Hannah Arendts "Banalität des Bösen" !) Opfer eines zionistischen Schauprozesses gewesen. "Während ich zuschaute und Vergleiche anstellte", schrieb Tryster in einem ausführlichen Gutachten, "wurde immer klarer, daß der Film ,The Spezialist" beinahe zur Gänze eine perverse Fälschung ist."
In Israel hat diese Affäre schon hohe Wellen geschlagen. Die Zeitungen "Ma’ariv" und "Ha’aretz" haben prominent von ihr berichtet, und das "Spielberg Jewish Film Archive", das hinter seinem ehemaligen Direktor steht, ließ rechtliche Schritte gegen Sivan prüfen. Dazu muß man wissen, daß Eyal Sivan eine Galionsfigur der extremen Linken ist. Er gehört zu jener Gruppe, die sich selbst als postzionistisch bezeichnet, also dem Staat Israel unumwunden das Recht zu existieren abspricht, da er auf einem historischen Verbrechen gegründet worden sei. Ihn jetzt der Fälschung zu bezichtigen - das ist ungefähr so, als würde Michael Moore der Lüge überführt.
Übrigens ist Moore tatsächlich wiederholt wegen der Manipulation von Filmmaterial heftig und detailreich kritisiert worden, etwa von dem britischen Kolumnisten Christopher Hitchens. Michael Moore zog seinen Hals immer wieder mit der Bemerkung aus der Schlinge, er sei schließlich kein Dokumentarfilmer, sondern Satiriker. Eyal Sivan schmetterte jetzt alle Anwürfe mit fünf Worten ab : "Wir haben einen Film gemacht." Das Zusammenschneiden von Archivmaterial sei nichts Ungewöhnliches. Im übrigen habe das "Spielberg Archive" in Jerusalem immer schon einen "ideologischen Ansatz gehabt, demzufolge Erinnerung wichtiger ist als die Geschichte". Hillel Tryster freilich kann man schwerlich beschuldigen, ein zionistischer Ideologe zu sein. Er ist soeben von Jerusalem nach Berlin umgezogen.